Beethoven-Geflechte ‒ A Beethoven Tapestry
Networks and Cultures of Memory
Herausgegeben von Melanie Unseld, Herausgegeben von Birgit Lodes
Reihe: Veröffentlichungen der Kommission für MusikforschungBeethoven, der Einzelgänger: Dieses historiographische Bild beherrscht seit Langem Beethoven-Biographik wie Beethoven-Forschung. So gut dieses Bild in das Narrativ eines Künstlergenies passt, so unscharf wird es, betrachtet man Beethovens Lebenswelten in den ersten Dekaden seiner Wiener Zeit genauer. Hier war Beethoven als Pianist und Komponist, als Lehrer und humorvoller Gesprächspartner Teil eines großflächigen Geflechts aus gesellschaftlichen, künstlerischen, professionellen, verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen. Auf welche gesellschaftlichen Zirkel Beethoven traf als er sich in der kulturellen und politischen Metropole niederließ, wie sich Beethoven in diesen Zirkeln bewegte und musikalisch kommunizierte, stellt der vorliegende Sammelband neu zur Diskussion.
In den politischen Turbulenzen des frühen 19. Jahrhunderts wurde die Autorität der Aristokratie immer weiter zurückgedrängt, was die sozialen und kulturellen Verhältnisse auf vielfältige Weise veränderte und die Erinnerungskultur, an wen und wie man sich erinnern sollte, neu bestimmte. Ein Komponist wie Beethoven konnte auf diese Weise, auch durch Selbstrepräsentation als anti-feudaler, bürgerlicher Künstler oder als exzentrisches Genie, in eine heroische Geschichtserzählung eingefügt werden, die den politischen Zeitläuften entgegenkam. Der Anlass des vorliegenden Bandes, das Beethoven-Jubiläumsjahr 2020, bietet daher auch die Gelegenheit, die weitere Folge dieser Erinnerungskultur und die damit verbundenen Veränderungen des Beethoven-Bildes bis in das 20. Jahrhundert zu verfolgen.