Ina Brendel-Perpina
Literarische Wertung als kulturelle Praxis
Kritik, Urteilsbildung und die digitalen Medien im Deutschunterricht
Reihe: Bamberger Studien zu Literatur, Kultur und MedienEin fachdidaktisches Modell literarischer Wertung, das über die Analyse und Interpretation von Texten hinausgeht, versteht sich dem Konzept von Literatur als kulturelle Praxis verpflichtet und schreibt sich in den Denkrahmen der Deutschdidaktik als Kulturwissenschaft ein. Um eine anschlussfähige Theorie zu entwickeln, welche die kulturelle Teilhabe von SchülerInnen als Richtziel schulischer Bildung in den Blick nimmt, werden die Praxen literarischer Wertung und Kritik in den Medien und Formaten der literarischen Öffentlichkeit exemplarisch beschrieben und kritisch auf ihre Anschlussfähigkeit für den Deutschunterricht untersucht. Diese Perspektive einer fachdidaktischen Kulturrezeptionsforschung fokussiert zum einen die traditionellen Formen im Feuilleton wie auch in Literaturdebatten, in audiovisuellen Literaturmagazinen, Wertungsakte in Literaturpreisen oder die Kommunikations- und Wertungspraktiken von Buchgruppen. Zum anderen sind die literaturbezogenen Verarbeitungsformen, die sich in den neuen Medien herausgebildet haben, von besonderer Bedeutung, denn die hier vorfindlichen digitalen Netzwerkkommunikationen repräsentieren neue Verhandlungsmodi literarischer Wertung. Die Laienkritik von LeserInnen im Netz ruft einen alternativen Diskurs literarischer Wertung und Kritik auf und antwortet anderen Bedürfnissen als die traditionelle Kritik. Sie lebt von spezifischen Kontexten und Verweisstrukturen und ist, insbesondere auch als jugendkulturelle Social Reading-Praxis, auf Partizipation angelegt.
Vor dem Hintergrund dieser Explorierung, die eine aktuelle Momentaufnahme in einem Feld großer Dynamik liefert, wurde ein didaktisches Modell literarischer Wertung zur intersubjektiven Verständigung über Literatur entwickelt. Dieses Modell ist an der Schnittstelle von Literatur-, Medien- und Sprachdidaktik verortet, denn Fragen der literarischen Wertung und ihrer Vermittlung betreffen Zielsetzungen der Leseförderung und des literarischen Lernens ebenso wie sprachliches Lernen und den kompetenten Umgang mit Medien in der digitalen Welt. Das Modell richtet sich auf die Entwicklung der Lernkompetenzen von SchülerInnen und auf die dafür notwendigen Lehrkompetenzen der Unterrichtenden.