Johanna Kühn
Suchen und Gestalten
Zeitgenössische spirituelle Praktiken unter Frauen in Beiruts Mittelschicht
Reihe: Göttingen Series in Social and Cultural AnthropologyZeitgenössische spirituelle Praktiken, wie unterschiedliche Meditations- und Yogapraktiken, spirituelle Lehren und Selbsthilfeangebote sowie alternative energiebasierte Heilmethoden, erfreuen sich in Libanons Hauptstadt Beirut großer Beliebtheit. Insbesondere Frauen der gebildeten urbanen Mittelschicht sind in entsprechenden öffentlichen Kursen und privaten Zirkeln vertreten. Johanna Kühn analysiert den Einfluss dieser Freizeitpraktiken für Prozesse weiblicher Selbstkonstruktion und der Individualisierung von Religiositäten. Sie zeigt, dass ihre Forschungspartnerinnen sich in einem Suchprozess nach sinnstiftenden Antworten befinden: Die Frauen kultivieren im Kontext spiritueller Praktiken neue Verständnisse ihres Selbst und ihrer genderspezifischen Positionen in Gemeinschaft sowie alternative Perspektiven auf Islam bzw. Christentum. Zeitgenössische spirituelle Praktiken wirken somit handlungsermächtigend für die Frauen und ihrem Ziel einer individuellen Gestaltung ihrer Lebenswirklichkeit. Diese Arbeit stellt einen grundlegenden wie wegweisenden Beitrag zum wissenschaftlichen Verständnis von globalisierten spirituellen Praktiken in Gesellschaften des Nahen Ostens dar. Die Untersuchung überzeugt dabei nicht nur mit der feingliederigen Analyse des umfassenden ethnografischen Materials, sondern auch mit dem von der Autorin entwickelten theoretischen Konzept des Gestaltens, mittels welchem der Einfluss spiritueller Praktiken auf genderspezifische Subjektkonstruktionen sowie individualisierte Formen von Religiosität unter Frauen der gebildeten urbanen Mittelschicht Beiruts überzeugend herausgearbeitet wird.