Annika Hoppe-Seyler
Beziehungsweise Flüchtlingshilfe – Die (Re-)Produktion erfahrungsbasierter Beziehungen und situierter Transaktionsräume (der Teilhabe) durch Praktiken ehrenamtlicher Flüchtlingshilfe
Reihe: Erlanger Migrations- und IntegrationsstudienDie Einreise von Geflüchteten in die Mitgliedsstaaten der EU erreichte einen zahlenmäßigen Höhepunkt im Sommer und Herbst 2015. Zu dieser Zeit prägten in Deutschland zwei Schlagworte die mediale Berichterstattung: “Flüchtlingskrise” (als Beschreibung der gegenwärtigen Migrationsphänomene) und “Willkommenskultur”. Letztere stand für die breite und vielschichtige Bewegung ehrenamtlicher Flüchtlingshilfe, die das organisatorisch überforderte Asylsystem Deutschlands bei der Aufnahme und Integration Geflüchteter spürbar entlastete und so vielerorts einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens leistete.
Damit ist ehrenamtliche Flüchtlingshilfe nicht nur eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung oder ein lobenswerter Beitrag für die Gesellschaft, sondern immer auch eingebunden in die öffentlichen und politischen Debatten um den Umgang mit und die Konsequenzen von Migrationsereignissen. Die ehrenamtlich Aktiven bewegen sich folglich in einem hoch politisierten Umfeld, welches sich mit der Verschärfung der Diskussion um Migration und Integration zunehmend konfliktreich darstellt.
Diesem dynamischen Feld zivilgesellschaftlichen Engagements widmet sich das vorliegende Buch, indem es mit Hilfe einer praxistheoretischen Perspektive die Wirkungsweisen und Aushandlungsprozesse ehrenamtlicher Flüchtlingshilfe dargestellt und reflektiert. Die Analyse des prozessualen Beziehungsgeschehen der Menschen untereinander in und mit ihrer (Um-)Welt zeigt, dass ehrenamtliches Engagement für Geflüchtete insbesondere in Bezug auf die vier zum Teil konfligierenden Kernaspekte der Offenheit und Unverbindlichkeit, des moralisch guten Tuns, der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und der Erwartung einer erfahrbaren kulturellen Differenz gestaltet und legitimiert wird. Darüber hinaus wird deutlich, dass insbesondere die persönlichen Beziehungen zwischen Ehrenamtlichen und Geflüchteten dazu beitragen können, asylrechtlichen Verschärfungen entgegenzuwirken, neue Teilhaberäume zu eröffnen und damit einen Beitrag zu gesamtgesellschaftlicher Stabilität zu leisten.