Vicent Andrés Estellés

Hotel Paris

Herausgegeben von Hans-Ingo Radatz

Reihe:

Hotel Paris
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Vicent Andrés Estellés gilt als der bedeutenste valencianische Lyriker des 20. Jahrhunderts, wobei sein Erfolg nicht nur auf den hermetischen Zirkeln des professionellen Literaturbetriebs beruht; als nach dem Tod Francos in der jungen spanischen Demokratie alte Kultursprachen wie das Katalanische endlich nicht mehr aus dem Kulturleben ausgeschlossen waren, begann im Land Valencia eine Wiederentdeckung der eigenen Sprache, Kultur und Geschichte. Estellés wurde mit seiner zugleich umgangssprachlichen und klassisch geformten, oft frechen, aber immer menschlichen, Lyrik zur literarischen Identifikationsfigur dieser Bewegung, dessen Verse oft von rebellischen Jugendlichen an die Wände Valencias gesprüht wurden.

Das hier übersetzte Werk ist ein Zyklus aus 22 Gedichten, die, sorgfältig aufeinander abgestimmt, wie die Szenen eines experimentellen Schwarzweiß-Films der 50er Jahre zu lesen sind. Das Hotel París des Titels ist dabei ein Stundenhotel im verruchten Barrio Chino in Barcelona, in dem sich, als Chronotopos, die Geschicke von Menschen überkreuzen. Dieses schmierige Hotel wird dabei zur Metapher auf das gesamte Franco-Spanien mit seiner Armut, moralischen Verlogenheit und allgemeinen Erbärmlichkeit. Ein wichtiges Thema des Zyklus ist aber wohl die Stellung der Frau in diesem System. Frauen erscheinen hier als wehrlose Objekte rücksichtsloser Männer, als Ware angepriesene Huren – aber auch als Ehefrauen, die völlig auf ihre Männer fixiert sind. Doch auch die Männer sind hier letztlich Opfer. Dass eine weniger verlogene und entfremdete Welt auch möglich sein kann, blitzt in den Szenen auf, in denen das Heimatdorf als Gegenbild erscheint: kurze Kameraschwenks auf eine alternative Welt.

Als Künstler, dessen Arbeitsmittel die (katalanische) Sprache ist, war Estellés internationale Projektion bislang gering – anders als die der bildenden Künstler seiner Generation wie Joan Miró, Antoni Tàpies oder Salvador Dalí, deren Ausdrucksmittel universal verständlich sind. Es ist aber genau dieser Kreis katalanischer Künstler, in die sein Werk eingeordnet werden sollte. Die vorliegende Ausgabe und Übersetzung entstand im Rahmen des “Año Estellés”, das die Diputació de València und das spanische Kultusministerium anlässlich des hundertsten Gerburtstags des Dichters für 2024 ausgerufen haben; die deutsche Ausgabe erscheint parallel zur englischen Übersetzung von Dominic Keown von der Universität Cambridge.